Noch ein Wien-Gedicht

30. April 2002
 

Hier scheint bedeutungslos der Lauf der Zeit.
Man meint, es käme gleich mit schnellen Schritten
Ein kaiserliches Regiment geritten
Oder ein Fürst mit prächtigem Geleit.

Die engen, winkeligen Altstadtgassen
Glaubt man erfüllt von Klängen mancherlei,
Von Lachen, Weinen, Fluchen und Geschrei
Und Pferdewagen, die hindurch kaum passen.

Vielleicht hört man heut im Redoutensaal
Die neuste Symphonie von Haydn spielen,
Kann nach der letzten Reifrock-Mode schielen,
Erfährt auch gleich den neuesten Skandal.

Auch scheint es nicht unmöglich, daß zuweilen
Der große Mozart von dem Sockel springt,
Um, während er ein neues Liedchen singt,
Zum Niederschreiben in sein Haus zu eilen.

Mag sein, daß es sogar einmal passiert,
Daß man die kaiserliche Prunkkarosse
Oder den Kaiser selbst sieht, hoch zu Rosse,
Wie er sich im Schönbrunn-Park verlustiert.

Das alles scheint in Wien nicht ausgeschlossen:
Die ganze Stadt erzählt Vergangenheit,
Macht sie lebendig, spürbar jederzeit –
So daß sie nur vergangen, nicht verflossen.
 
 

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